Wo ist der Unterschied zwischen Wandern und Pilgern?
Objektiv betrachtet gibt es den nicht, wenn man einen Pilgerweg läuft, pilgert man auch. Ob man sich dabei als Pilger oder als Wanderer fühlt, hängt vor allem von der Intention ab.
Ob man seinen Rucksack dabei selbst trägt oder ihn zur Unterkunft liefern lässt, ob man im Schlafsaal oder in der Pension schläft, ob man sich von Wasser und Brot ernährt oder sich abends im Restaurant den Bauch vollschlägt, ob man dabei versucht sich selbst zu finden oder Comedyhörbücher hört – jeder hat seine eigene Regeln was einen „echten Pilger“ ausmacht.
Und meistens orientieren sich diese Regeln daran, was man selbst befolgt und wo man nicht so streng ist 🙂
Ich persönlich sehe den Unterschied am ehesten in der Motivation: geht es um sportliche Betätigung, ist es wandern. Geht es um Kontemplation, Selbstfindung, persönliches Wachstum, die Suche nach Antworten usw. dann ist es für mich pilgern, unabhängig davon ob Religion im Spiel ist oder nicht.
Warum also ausgerechnet auf Pilgerwegen wandern?
Dafür gibt es zwei gute Gründe:
Zum Einen ist die Infrastruktur super. Ein Pilgerweg ist auf Menschen auf der Durchreise ausgelegt, es gibt auch in wenig besiedelten Ecken genug Übernachtungsmöglichkeiten und Einkehrmöglichkeiten (dies gilt zumindest für die „großen“ Pilgerwege in Spanien, Frankreich und Portugal).
Zum Zweiten ist die Atmosphäre anders. Auch wenn die wenigsten Pilger, die ich getroffen habe, religiös motiviert waren, so waren die meisten doch im weitesten Sinne „spirituell motiviert“.
Viele hatten Fragen dabei, die sie für sich klären wollten, standen vor großen Entscheidungen, hatten Schicksalsschläge hinter sich oder hinterfragten ihr Lebenskonzept als Ganzes – oder wollten mal ihre Grenzen kennen lernen oder Ängste überwinden.
Man ist auf einem Pilgerweg von vielen Menschen umgeben, die irgendwie auf der Suche sind, die beim Laufen in sich gekehrt sind, die kontemplativ sind. Und diese Atmosphäre kann sehr ansteckend sein.
Mein erstes Pilgererlebnis war der Küstenweg von Porto nach Santiago. Diese Erfahrung hat mich nachhaltig geprägt und obwohl ich ohne konkrete Frage losgegangen bin, kam ich mit unglaublich vielen Antworten zurück.
Danach war ich auf den verschiedenen portugiesischen Jakobswegen und auf dem französischen Jakobsweg unterwegs und immer habe ich unglaublich viel über mich gelernt und meistens erst unterwegs erfahren, was überhaupt die Fragen sind, die mich grade beschäftigen.
Für wen macht ein Pilgerweg also Sinn?
Für Jeden, der entweder
a) Lust hat Menschen aus aller Welt kennen zu lernen und Teil einer internationalen Gemeinschaft zu sein
b) für sich sein will und nachdenken möchte, den Kopf frei kriegen, Dinge auf den Prüfstand stellen möchte, Antworten finden will….
c) ganz ohne tiefere Absichten Lust auf Aktivurlaub in Südeuropa hat und dabei günstig nächtigen, speisen und sich abends einen Cocktail mit Meerblick gönnen möchte.
Klingt alles sehr gegensätzlich? Ja, ist es auch. Nichtsdestotrotz ist das Alles auf den Jakobswegen möglich.
Großartig, oder?