Ob man seine Etappen vorab planen und seine Unterkünfte auch vorab buchen sollte, hängt von drei Faktoren ab:
1. Wann und wo läuft man seinen Jakobsweg?
2. Was ist man für ein Typ Mensch?
3. Wie flexibel ist man?
Welcher Jakobsweg zu welcher Jahreszeit
Der wichtigste Faktor für die Entscheidung „Vorbuchen: ja oder nein?“ ist das Angebot an freien Betten.
Wer im Juli 2022 den Camino Frances läuft, ist sehr gut damit beraten vorzubuchen. Der Camino Frances ist der beliebteste Jakobsweg, der Juli der beliebteste Monat, 2022 ein heiliges Jahr, und dazu haben unzählige Pilger coronabedingt zwei Jahre lang ihre Jakobswege verschoben.
Grundsätzlich kann man sagen: die letzten 100km vor Santiago sind auf dem Camino Frances (fast) immer voll und frühzeitig gebucht. Ausserhalb der Hochsaison reicht es oft wenn man sich ein paar Tage vorher sein Bett sichert; aber wenn Pilgersaison ist und spanische Reisegruppen in Bussen dorthin gekarrt werden, sollte man sich nicht darauf verlassen spontan noch ein schönes, bezahlbares Zimmer zu ergattern.
Der Camino Portugues ist grundsätzlich etwas leerer, aber auch hier ist der Hochsommer sehr beliebt, und damit wird es da auch enger. Inzwischen haben sich Mai und September so sehr als ideale Monate für einen Jakobsweg herumgesprochen, dass sie teilweise extrem ausgebucht sind.
Aber auch im heiligen Jahr und mit zigtausend nachgeholten Jakobswegen empfehle ich nicht grundsätzlich alles vorzubuchen: Es hängt dann doch sehr davon ab wann man genau läuft und welche Route es wird – der spanische Teil der Küstenvariante des Camino Portugues kann auch im Hochsommer noch freie Betten haben und auch die August-Pilgerscharen auf dem Camino Frances begrenzen sich auf die letzten 300 bis 100km.
Typfrage
Es gibt Menschen, die es am Liebsten alles präzise durchgeplant hätte, bloß keine Überraschungen, bloß keine Unsicherheiten. Am liebsten Montags schon wissen was es Mittwoch zu Mittag gibt und um wie viel Uhr man sich in zwei Wochen mit der Freundin wo trifft.
Diese Menschen bekommen Stress wenn sie nicht wissen, was auf sie zukommt und erst Recht wenn sie nicht wissen ob sie sicher versorgt sind.
Und es gibt Menschen, die wunderbar in den Tag leben können, spontan schauen was das Leben ihnen so vor die Füße wirft und was so auf sie zukommt
Dieser Typ Mensch erspart sich einfach das Ausmalen von Worst-Case-Szenarien, sondern geht davon aus dass sich schon etwas ergeben wird. Um es in meinem Heimatdialekt zu sagen: „et hätt noch imma jood jejange“.
(Und natürlich gibt es alle Abstufungen zwischen diesen beiden Extremen.)
Der größte Unterschied zwischen diesen beiden Typen ist wohl das Urvertrauen, der Glauben daran dass es schon irgendwie funktionieren wird und dass alles gut geht. Ob man ein Mensch mit viel oder wenig Urvertrauen ist, hat man sich nicht ausgesucht, aber sich dessen bewusst zu sein, kann helfen um den für sich besten Plan für eine Pilgerreise (und durchs Leben) zu finden.
Der entspannte Typ
Wenn du zu den Menschen gehörst, die es nicht ängstigt sich einen Rucksack zu schnappen und einfach mal los zu laufen und zu schauen was kommt, dann kann ich ganz klar dazu raten es auch genau so zu machen.
Es ist definitiv die schönste Form des Pilgerns, es ist frei und intuitiv und gibt einem viele Möglichkeiten – spontan da einkehren wo man die nette Bekanntschaft von vor ein paar Tagen wieder trifft. Oder nach einer etwas zu weinlastigen Nacht aus einer Pilgeretappe spontan doch nur einen kurzen Spaziergang machen und wieder ins Bett fallen.
An einem Ort, der einen fasziniert noch ein paar Tage verweilen oder auch an einem guten Tag über sich hinaus zu wachsen und 40 Kilometer zu laufen.
Klar, das braucht dann auch Flexibilität im Rückreisedatum, weil man nicht weiß wann man in Santiago ankommt – aber auch nicht unbedingt. Es gibt auf jedem Jakobsweg Etappen die nicht so lohnenswert sind, und die man bei Zeitknappheit einfach überspringen kann.
Der vorsichtige Typ
Wenn du zu den Menschen gehörst, die das unbekannte eher ängstigt, läufst du in Gefahr dich mit einem Jakobsweg vollkommen zu überfordern, wenn du einfach drauf los läufst.
Ja, möglicherweise ist es der Gamechanger und du wächst über dich hinaus, befreist dich von allen Ängsten und kommst als neuer Mensch zurück – das Potenzial ist durchaus vorhanden.
Aber auch die Gefahr dass du niemals los gehst oder dass du nach kurzer Zeit abbrichst weil du dir damit zu viel zugemutet hast.
Dennoch empfehle ich gerade Menschen mit geringem Urvertrauen oder Ängsten einen Jakobsweg zu laufen. Es ist eine wunderbare Möglichkeit Vertrauen ins Leben und auch in sich selbst zu lernen.
Es ist überhaupt nicht schlimm wenn man sich vorbereitet fühlen will, wenn man wissen will was einen erwartet. Man sollte dann nur eine andere Herangehensweise wählen als der gegenteilige Typ.
Flexibilität
Klar, das frisch renovierte, super zentrale Hotelzimmer für 35€ bekommt man zu gefragten Zeiten nur wenn man vorher reserviert (oder wahnsinnig Glück hat – ich habe auch schon im richtigen Moment die Webseite aktualisiert auf der eben noch alles belegt war, und plötzlich kam durch eine Stornierung ein Zimmer rein).
Umso flexibler man ist, desto mehr kann man „auf Risiko“ gehen.
Ist es für mich ok 4km hinter Burgos zu wohnen und die Stadt nicht zu sehen? Ist es ok auch mal 70€ für ein Zimmer zu zahlen? Ist es ok noch 5km zu laufen obwohl man eigentlich schon durch ist? Ist es ok mal in einem verranzten Zimmer mit Industrieblick zu schlafen? Ist es ok mit dem Taxi zum Hotel zu fahren?
Irgendwas gibt es dann doch immer. Nur halt nicht immer genau so wie man sich das vorgestellt hatte.
Aber wer flexibel ist, der muss nicht auf der Strasse schlafen 🙂
Fazit
Wer sich jederzeit ein 80€ Hotelzimmer leisten kann, bereit ist auch mal mit dem Taxi irgendwo hin zu fahren, aber auch kein Problem damit hat wenn es mal eher rustikal ist oder man irgendwo in der Pampa nächtigt, kurz: wer sehr flexibel ist, der kann sogar zu beliebten Zeiten fast gänzlich darauf verzichten, seine Unterkünfte vorher zu buchen.
Wer vielleicht sowieso nur feste zwei Wochen hat und in der Zeit die Strecke Porto-Santiago ganz laufen will, der verliert auch keine Freiheit wenn er sich vorab die besten Zimmer sichert. Auch wenn man jemand ist der sonst erst gar nicht losgehen würde wenn man nicht weiss was einen wann erwartet, ist man mit Vorbuchen natürlich gut beraten.
Für die meisten Fälle wird – wie so oft – der Mittelweg der richtige sein. Das bedeutet dass man schon mit einem Etappenplan und einer Information zu Unterkünften startet und einzelne Hotels auch vorab bucht. Aber, sich an anderen Stellen vorerst flexibel hält und dann vor Ort 0-3 Tage vorher bucht, wenn man mehr darüber weiß wie das Wetter und der eigene Fitnesszustand gerade sind.